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Nachhaltige KI braucht nachhaltige Hardware – und KI einen Neustart

Auf einer Flussinsel stehen vier Reaktoren, aus denen dicker Qualm kommt. Three Mile Island
Luftaufnahme des AKW "Three Mile Island". Nach dem schwerwiegendsten Störfall der US-Geschichte 1979 in Block 2 soll wegen des Energiebedarfs generativer KI künftig der 2019 stillgelegte Block 1 wieder ans Netz gehen.

Trotz unzureichender Datengrundlage zeigt sich ein klarer, aber beunruhigender Trend: Das exponentielle Wachstum generativer KI passt schlecht zu endlichen Ressourcen und bringt Energiesysteme an die Grenzen. Damit die Nutzung von KI zu mehr Nachhaltigkeit führt und nicht zu immer mehr Energie- und Ressourcenverbrauch, ist ein Umdenken nötig. Für die Entwicklung mit den planetaren Grenzen vereinbarer KI-Systeme sind die materiellen Grundlagen der virtuellen Welt zentral: Rechenzentren und Hardware. 

Innerhalb von nur einem Jahr hat sich das im letzten Fachbeitrag zum Thema dargestellte Problem des exponentiell wachsenden Energie- und Ressourcenverbrauchs von KI deutlich verschärft: „Der Stromhunger künstlicher Intelligenz nimmt weiter zu, belastet die Stromnetze, erhöht die Treibhausgasemissionen und verschärft die Umweltprobleme" [1]. Durch ungebremstes „Wettrüsten“ großer Technologiekonzerne mit großen Sprachmodellen (LLMs) und deren zunehmende Verbreitung, nicht zuletzt durch die Integration in bereits weit verbreitete Produkte, nimmt die Anzahl neuer Hochleistungsrechenzentren rapide zu [2]. In einigen Regionen kollidiert dieser bislang ungebremste Trend bereits lokal mit den Grenzen des Energiesystems [3]: Während in den USA alte Pannen-AKWs reaktiviert [4] und sogenannte Mini-AKWs allen ökologischen und ökonomischen Bedenken zum Trotz im großen Stil neu gebaut [5] werden sollen, stehen selbst hierzulande Rechenzentren in Ballungsregionen wie Frankfurt am Main am Rande des Stromausfalls [6]. Gleichzeitig nimmt der Wasserverbrauch für die Kühlung und bei der Produktion der genutzten Hardware extrem zu – ebenso wie der Bedarf an Rohstoffen und ökologisch problematischen Chemikalien.

Viel zu wenig Transparenz – aber wachsendes Bewusstsein für Komplexität

Wegen der weiterhin mangelnden Transparenz durch fehlende Daten [7] basieren Studien und Prognosen zu den Umweltwirkungen von KI weitgehend auf Schätzungen. Aufgrund von Unsicherheiten liegen sie teils weit auseinander und sind von ganzheitlicher Erfassung und Bewertung weit entfernt, wie Ralph Hintemann von Borderstep beim Workshop „Eine Frage der Hardware“ auf der AI Conference des BMUV betonte. Andreas Gocht-Zech vom KI-Lab beim Umweltbundesamt wies zudem darauf hin, dass im Betrieb aktueller KI-Chips fast die Hälfte der Energie zur Kühlung genutzt wird - mit Wasserkühlung wäre das jedoch nur noch ein Zehntel davon. Wenn die Abwärme genutzt wird, steigt die Effizienz noch weiter. Zugleich verdeutlicht eine aktuelle Studie von Interface [8] die Komplexität und Dramatik des ökologischen Fußabdrucks der Halbleiterproduktion. Die Knappheit benötigter Rohstoffe, die fragwürdige Herkunft seltener Erden sowie die großen Defizite bei Entsorgung und Recycling sind seit Jahren bekannt. Zusätzlich wird der exorbitante Wasserverbrauch der Chipindustrie [9] in letzter Zeit verstärkt thematisiert, doch die Problematik ist komplexer: Neben dem CO2-Fußabdruck von Produktion und Lieferketten müssen auch Schadstoffeinträge, insbesondere sogenannter Ewigkeitschemikalien (PFAS) in den Blick genommen werden. Studienautorin Julia Hess hat auf der AI Conference veranschaulicht, dass mangelnde Datentransparenz eine umfängliche Bewertung und Differenzierung verschiedener Hardwaretypen behindert. 

Große KI-Modelle als ökologischer „Brandbeschleuniger“ – Grenzen des Wachstums

Beim Energie- und Ressourcenverbrauch steht außer Frage, dass die bereits großen Probleme rapide größer werden und sich erste „Grenzen des Wachstums“ [10] abzeichnen. Jedoch ist eine komplexe Quantifizierung von Energie- und Ressourcenverbrauch über den Lebenszyklus hinweg für ein verlässliches und differenziertes Reporting nötig, um gezielte und langfristige Lösungen zu finden. Hardwareseitig stellen uns bestehende Pfadabhängigkeiten vor ökologische Herausforderungen, und der „Brandbeschleuniger Digitalisierung“ [11] verschärft primär in Gestalt großer KI-Modelle nicht-nachhaltige Wachstumsmuster rapide. Auch ökonomisch gehen fehlende Geschäftsmodelle [12] bereits mit vom Trend rückläufigen [13] Wagniskapital einher. Bereits vor fünf Jahren betonte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), dass Digitalisierung „ohne klare Rahmenbedingungen als Brandbeschleuniger des steigenden Energie- und Ressourcenbedarfs sowie der Treibhausgasemissionen wirken“ könne. Neben klar und verlässlich gesetzten langfristigen Zielen zur Lenkung von Investitionen wurde empfohlen, dass Energie- und Ressourceneffizienz „dezidierte Innovationsziele für digitale Technologien und Anwendungen sein“ sollten. In den letzten Jahren ist dies jedoch kaum ausreichend passiert und viele Veränderungen wären dazu nötig.

Generative KI skaliert nicht mehr – fährt der Hype gegen die Wand?

Trotz aller Bemühungen zur KI-Regulierung mangelt es im Hype um generative KI an Problembewusstsein und Transparenz ebenso wie an klaren Rahmenbedingungen oder gar Effizienzstandards für nachhaltige KI und dafür nötige Hardware-Infrastruktur. Nachhaltige Geschäftsmodelle sind nach wie vor kaum vorhanden und hinzu kommt, dass bereits länger befürchtete Grenzen der Skalierung inzwischen erreicht werden [14]: Durch die Zunahme KI-generierter Trainingsdaten wird generative KI ohne steuernde menschliche Einflussnahme nicht mehr besser, trotz mehr Daten und Rechenleistung. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, könnten die großen Sprachmodelle irgendwann sogar schlechter werden, da immer mehr KI-generierte Trainingsdaten zu einem sogenannten „model collapse“ führen [15] – es sei denn, es wird mit qualitativ hochwertigen Trainingsdaten gegengesteuert. Die sich abzeichnende Krise generativer KI könnte dadurch sogar mehr Anreize zur Kooperation bringen, sei es durch offene Trainingsdatenpools oder Open-Source-Modelle, denn ein Problem dieser Dimension lässt sich kollaborativ deutlich besser in den Griff bekommen [16]. Aber selbst wenn das zu mehr Nachhaltigkeit führen würde und sich der befürchtete “model collapse“ abwenden lässt, ist der Ansatz, Deep Learning durch immer mehr des gleichen weiterzuentwickeln, wenig zielführend [17] – nicht zuletzt, da exponentielles Wachstum früher oder später mit knappen Ressourcen kollidiert.

KI anders denken heißt Hardware anders denken – und KI wie Hardware anders nutzen

Umso wichtiger ist es daher, nicht nur die Nachhaltigkeitsherausforderungen des aktuellen KI-Hypes zu adressieren.  Nach Albert Einstein lassen sich Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind, wie in diesem Fall durch KI: 

  • wenig nachhaltige Geschäftsmodelle,
  • der Trend zu energie- und ressourcenhungrigen Modellen,
  • Hardware mit mangelnder Energie- und Ressourceneffizienz von Design über Produktion und Betrieb sowie
  • große Defizite bei Entsorgung oder Recycling. 

Trotz vielfältigem Innovationsbedarf ist KI hier nicht gleich KI – wenn im KI-Lebenszyklus von Anfang an die richtigen Fragen gestellt werden und schlanke, auf Effizienz optimierte Modelle passend zum Einsatzkontext genutzt werden, bestehen gerade beim Einsatz für den Natur-, Klima- und Umweltschutz [18] schon unter heutigen Bedingungen vielfältige Chancen für eine positive ökologische Kosten-Nutzen-Bilanz. Entgegen dem Trend zu immer größeren Modellen gilt dafür „small is beautiful“ – auf dem Festival der KI-Ideenwerkstatt wurde zusätzlich zu vielen passenden Use Cases der Comic-Essay „KI nachhaltig entwickeln: Seegurke sucht Seegraswiese“ vorgestellt und vielschichtig darüber diskutiert, wie sich KI anders denken und anwenden lässt. Die wichtigsten Hebel für nachhaltige KI sind demzufolge

  • mehr Transparenz für ökologische und ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung,
  • zielgerichtete, kontextabhängige Modellauswahl und Green Coding,
  • effizienzoptimierte Hardware im Bestand durch Wasserkühlung, spezifische Hardware je nach UseCase und Abwärmenutzung,
  • neue Ansätze in Hardwarearchitektur, Chipdesign und -produktion für möglichst geringen Energie-, Wasser- und Rohstoffverbrauch im gesamten Lebenszyklus,
  • mehr und besseres Recycling bzw. Nutzung von refurbished Hardware, wo sinnvoll,
  • andere Anreize und Geschäftsmodelle für nachhaltige KI „by design“, damit durch die Einbeziehung ökologischer Kosten mehr Umwelteffizienz zu deutlicher Kostenersparnis führt,
  • mehr Forschung zur gesamten Bandbreite nachhaltiger KI,
  • sowie last but not least: im Bewusstsein der Herausforderungen eine neue Kulturtechnik [19] informierter und reflektierter Anwendung von KI.

Entsprechend der Diskussion bei der AI Conference müsste dafür eine ganzheitliche Politik

  • Diskurse um „grüne KI“ mit industrie- und geopolitischen Debatten verschränken,
  • mit Blick auf die globale Dimension des Problems schneller und effizienter regulieren,
  • Monopole einhegen, um Macht- und Konzentrationsfragen zu lösen,
  • (aus Halbleiterperspektive) das Problem an der Wurzel und Stellschrauben in Design, Fertigung und Nutzung mitdenken und
  • durch nachhaltige Innovationen Wettbewerbsfähigkeit ebenso fördern, wie das Wachstum von Ansätzen, die zeigen, dass und wie es anders gehen kann.

Statt im KI-Wettrüsten zwischen großen Technologiekonzernen und Wirtschaftsräumen den Anschluss finden zu wollen [20], liegt die Zukunft vielmehr darin, mehr Offenheit zu wagen: Offene Daten und (Innovations-)Modelle könnten dabei helfen, durch nachhaltige KI zukunftsfähige Lösungen und Geschäftsmodelle zu etablieren, die ökologisch wie ökonomisch längerfristig tragfähig sind. Zweifellos sind dazu viele Schritte auf vielen Ebenen zu gehen – umso wichtiger ist es, dass Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam daran arbeiten, bestehende Grenzen im Denken und Handeln zu überschreiten, damit ökologische und planetare Grenzen nicht überschritten werden.

* Dieser Fachbeitrag wurde ohne die Nutzung generativer KI verfasst.

 

Über den Autor


Reinhard Messerschmidt ist stellvertretender Auftragskoordinator und arbeitet als interdisziplinärer Sozialwissenschaftler und promovierter Philosoph seit 2017 zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit Fokus auf KI und Technikgestaltung für das Gemeinwohl.

 


[1]  https://www.heise.de/news/ChatGPTs-Stromverbrauch-Zehnmal-mehr-als-bei-Google-9852126.html

[2]  https://www.heise.de/news/KI-Boom-Europas-Rechenzentren-halten-mit-Nachfragewachstum-nicht-Schritt-9857689.html

[3]  https://www.iea.org/commentaries/what-the-data-centre-and-ai-boom-could-mean-for-the-energy-sector

[4]  https://www.technologyreview.com/2024/09/26/1104516/three-mile-island-microsoft/

[5]  https://www.zeit.de/digital/2024-10/google-kuenstliche-intelligenz-rechenzentrum-atomkraft-kairos

[6]  https://www.rnd.de/wirtschaft/stromverbrauch-von-ki-bringt-rechenzentren-an-den-rande-des-stromausfalls-J5SYNDRY55BDRP6UDJ2OKPZCNY.html

[7]  https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2667010024001690

[8]  https://www.interface-eu.org/publications/chip-productions-ecological-footprint

[9]  https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/insight-innovation-ohne-wasser-keine-chips-wie-die-industrie-ihr-eigenes-umweltdrama-loesen-muss-/29290388.html

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Grenzen_des_Wachstums 

[11] https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/unsere-gemeinsame-digitale-zukunft

[12] www.nytimes.com/2024/09/27/technology/openai-chatgpt-investors-funding.html

[13] https://de.statista.com/infografik/33543/private-investitionen-in-ki-startups-pro-jahr/

[14]https://www.heise.de/news/Das-Ende-vom-Skalieren-Selbst-OpenAIs-Orion-wird-kaum-besser-10051686.html

[15] https://www.nature.com/articles/s41586-024-07566-y

[16]https://www.forbes.com/sites/bernardmarr/2024/08/19/why-ai-models-are-collapsing-and-what-it-means-for-the-future-of-technology/ 

[17] https://nautil.us/deep-learning-is-hitting-a-wall-238440/ 

[18] https://www.ki-ideenwerkstatt.de/fachbeitraege/ki-nachhaltig-gestalten-ein-interview/

[19] s. Kommentar von Robert Wagner (KI-Lab beim Umweltbundesamt) bei der Diskussion auf der BMUV AI Conference im oben verlinkten Video

[20] https://allai.nl/there-is-no-ai-race/

 

Kontakt

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