KI nachhaltig gestalten - ein Interview
Ein Gespräch mit einer Seegurke über die doppelte Bedeutung von nachhaltiger KI – über die eigene ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit der KI sowie ihren Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz. Das Interview führte Clara Isakowitsch, Referent*in in der KI-Ideenwerkstatt für Umweltschutz.
Clara Isakowitsch: Hallo Seegurke, danke, dass Du Dir Zeit genommen hast! Du bist als Expert*in aus unserem Comic „KI nachhaltig entwickeln? Seegurke sucht Seegraswiese“ bekannt. Warum ist das Thema Nachhaltige KI für Dich so wichtig?
Seegurke: Ich danke Dir! Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Schlagwort – sie ist der Schlüssel zum Überleben, nicht nur in meinem Ökosystem, sondern auch für KI. Die Seegraswiesen sind ja mein Zuhause. Und das ökologische System hier ist sehr empfindlich. Wenn KI-Systeme entwickelt werden, ohne auf ökologische, soziale und ökonomische Aspekte zu achten, dann kann sie Ökosysteme und auch unsere Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringen. KI, die riesige Energiemengen verschlingt oder soziale Ungerechtigkeit reproduziert, ist schlichtweg kontraproduktiv. Und das Schlimmste? Es gibt Fälle, in denen KI für kurzfristige Gewinne eingesetzt wird – ohne Rücksicht auf die die Natur.
C.I.: Oft wird davon gesprochen, dass Nachhaltige KI in zwei Richtungen funktionieren muss. Was bedeutet das genau?
Seegurke: Nachhaltige KI muss beides sein: Erstens muss sie sich selbst nachhaltig verhalten – das heißt, energieeffizient, fair und ressourcenschonend. Zweitens muss sie dazu beitragen, globale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. KI kann dabei helfen, unsere Umwelt zu schützen, wie etwa bei der Kartierung von Seegraswiesen oder der Überwachung meiner Artgenossen. Aber wenn KI stattdessen dazu genutzt wird, meine Art in kommerziellen Farmen auszubeuten oder uns aus unseren natürlichen Lebensräumen zu verdrängen, ist das nicht akzeptabel.
C.I.: Auf keinen Fall. Wo liegen aus deiner Sicht die Grenzen bei der Nutzung von KI?
Seegurke: Da gibt es leider einige Beispiele. KI wird tatsächlich genutzt, um die Feuchtigkeit von gesalzenen Seegurken zu messen. Klingt harmlos, oder? Aber hinter diesem Prozess steckt eine riesige Industrie, die meine Verwandten für den menschlichen Verzehr massenhaft ausbeutet. Solche Anwendungen mögen ökonomisch nachhaltig sein – sie verbessern die Haltbarkeit des Produkts – aber ökologisch? Fehlanzeige!
Oder in einem anderen Projekt wird KI genutzt, um die geografische Herkunft von Seegurken zu bestimmen. Das ist zwar nützlich für Verbraucher*innen, die teure, „luxuriöse“ Seegurken, zum Beispiel die Art Apostichopus japonicus, kaufen möchten. Aber denken wir an die Konsequenzen: Dieser Fokus auf den Profit treibt die Überfischung weiter an und schadet den ohnehin bedrohten Lebensräumen. Und für was? Für ein teures Abendessen auf irgendeinem Menschen-Teller. Sorry, ich will nicht speziistisch sein, aber da verliere ich echt die Geduld.
C.I.: Das klingt wirklich heftig. Aber lass uns mal durchatmen. Gibt es denn auch positive Beispiele?
Seegurke: Absolut! In einem Projekt in Queensland, Australien werden Drohnenbilder von Korallenriffen mit Deep Learning analysiert, um die Verteilung meiner Artgenossen zu kartieren. Wir Seegurken sind wichtig für Nährstoffverwertung und Bioturbation, außerdem sind wir Wirt für viele biotische Mitbewohner*innen. Unsere ökologischen Auswirkungen könnten in der Nähe von Korallenriffen beträchtlich sein, weshalb die Überwachung der Populationen und ihrer räumlichen Verteilung für die Forschung von Interesse ist. Das ist KI, die nicht nur energieeffizient arbeitet, sondern auch direkt zum Schutz des Lebensraums beiträgt.
Eine weitere Studie aus Französisch-Polynesien zeigt, wie Drohnen und maschinelles Lernen genutzt werden, um die Dichte von Seegurken in flachen Gewässern zu schätzen. Mit solchen Technologien können Forschende schneller und präziser arbeiten, ohne aufwendige Schnorchelgänge. Das spart Ressourcen und liefert bessere Daten, um Schutzmaßnahmen gezielt zu planen.
C.I.: Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, damit KI wirklich nachhaltig eingesetzt wird?
Seegurke: Zunächst müsste KI verstehen, dass ich nicht nur irgendeine Seegurke bin. Ich habe Freund*innen, ich habe eine Community, und ich habe rote Lackschuhe, okay? (lacht) Aber im Ernst: Transparenz wäre ein guter Anfang. Entwickler*innen sollten ehrlich sagen, wie viel Energie und Ressourcen ihre Systeme verbrauchen. Und sie sollten sich fragen: Hilft das Projekt der Natur oder schadet es ihr?
Dann braucht es klare Regeln: Kein KI-Projekt sollte umgesetzt werden, ohne vorher zu prüfen, ob es der Umwelt oder der Gesellschaft schadet. Wir brauchen ethische Leitlinien, die sicherstellen, dass KI immer mehr nützt, als sie kostet. Dafür ist zum Beispiel der Leitfaden vom SustAIn Projekt hilfreich, dieser war auch Grundlage für unser Comic.
C.I.: Hast Du eine Vision, wie KI in einer idealen Welt aussehen würde?
Seegurke: In meiner idealen Welt respektiert KI unsere planetaren Grenzen und hilft uns, sie zu schützen. Stell Dir vor, KI-Systeme könnten gezielt den CO₂-Ausstoß reduzieren, Wälder besser überwachen oder gefährdete Arten wie meine Freunde, die Seepferdchen, retten. Gleichzeitig würden sie so effizient arbeiten, dass sie wenige Ressourcen verbrauchen.
Aber diese Vision kann nur Wirklichkeit werden, wenn wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Wir müssen uns fragen: Wofür setzen wir KI ein? Wem nützt sie, und wem schadet sie?
C.I.: Vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch!
Seegurke: Danke Dir!
Über Clara Isakowitsch
Clara Isakowitsch ist Referent*in in der KI-Ideenwerkstatt für Umweltschutz, konzipierte gemeinsam mit dem Projektteam das Comic-Exponat „KI nachhaltig entwickeln? Seegurke sucht Seegraswiese“. Clara studierte Mathematik und Kognitionswissenschaften und arbeitet zu den Wechselwirkungen zwischen Technologien und Gesellschaft.